Montag, 11. Juli 2011

Aal und Vogel drehen durch


St. Pauli ist seit gewissermaßen Jahrhunderten ein Vergnügungsviertel

Da haben weder der Vogel noch der Aal was gegen. 

Schon vor vielen vielen Jahren waren hier auf der Reeperbahn diverse Angebote zu finden, mit welchen sich sowohl die Einheimischen als auch die z.B. aus fernen Ländern kommenden Matrosen bestens unterhalten sollten. 
So ist es natürlich auch heutzutage an sich nur recht und billig und in bester St. Pauli Tradition, dass hier diverse Events stattfinden, die der Unterhaltung und Zerstreuung dienen sollen. Und auch so eineStadtführung mit Musik ist natürlich auf Gäste ausgerichtet und dient dem Entertainment, ganz klar. 

Der kleine Unterschied

Und dennoch gibt es einen kleinen Unterschied zwischen einigen der heutigen Geschehnisse und denen der Vergangenen Epochen.
Früher war es nämlich so, dass man sich als Mitmensch durchaus aussuchen konnte, ob man sich die eine oder andere Darbietung des Showgeschäfts anschauen möchte. 
Man konnte zu dieser Bude gehen oder zu jener, mal bei den besoffenen Kamelen am Spielbudenplatz vorbeischauen oder ins Theater gehen und natürlich konnte und kann man auch bei der Kiez Geh Rock Revue mitlaufen, wie einem halt gerade zumute war. 

„Zumute“ ist da auch ein schönes Stichwort denn heutzutage ist es leider schon die eine oder andere Zumutung die sich der treue St. Paulianer da gefallen lassen muss. 
Jedes Mega-Event wird möglichst auf die Reeperbahn und/oder die umliegenden Straßen verlegt und zwar tendenziell so, dass der herkömmliche Anwohner davon auf jeden Fall was mitbekommt, ob der Mensch das möchte oder nicht. 

Harley Days und Aal Fatal träumt von einer Flinte

So war letztes Wochenende wieder mal das zahlreiche Erscheinen der Chopper-Fraktion angesagt, die auf ihren Motorrädern, speziell der Marke Harley Davidson, die Stadt heimsuchten. 
An sich haben Vogel und Aal nichts gegen genannte Marke, zumal die Zweiräder natürlich schön anzuschauen sind und oft mit viel Liebe hergerichtet wurden. 
Dennoch sind gefühlte 2 Wochen (es waren nur wenige Tage) Dauergeröhre für den hier wohnenden Menschen schon eine harte Prüfung. 

So war der Aal z.B. am Samstag kurz beim 2jährigen Geburtstag eines kleinen aber feinen Blumenladens namens „Blume von St. Pauli“ welcher mit Astra, Schoko-Erdbeeren, Waffel am Stiel und auch live Musik in Form von wunderschön vorgetragenen französischen Chansons zelebriert wurde. Letztere wurden von einer jungen Dame großartig gesungen und mit echtem Pariser-Flair am Akkordeon begleitet und so konnte sich der Aal u.a. an Juliette Grecos „Accordeon“ erfreuen. 
Da allerdings auch die St. Paulis Seitenstraßen von der Easy Rider-Fraktion nicht gemieden wurden, war auch hier immer wieder das Aufbrüllen eines Harley Motors Bestandteil der Geräuschkulisse. 
Nach dem Wochenende war der Aal schon ziemlich genervt und kurz davor wahllos auf jeden startenden Chopper zu schießen, welcher durch lautes Aufröhren des Motors seine Anwesenheit ungefragt verkündete. 
Nun, den Motorrädern können Vogel und Aal noch ihre schönen Seiten abgewinnen zumal deren Besitzer/innen an sich allesamt freundlich und entspannt rüber kamen und u.a. auch das Chansonkonzert wohlwollend wahrzunehmen wussten. 
Dazu kommt, dass der Vogel hin und wieder statt zu fliegen auch mal auf einer alten Guzzi durch die Straßen düst. 

Ich weiss was du letzten Sommer getan hast

Was nun aber am kommenden Wochenende auf uns zukommt, da bleibt uns leider die Spucke komplett weg, da vergeht uns jegliches Lachen, da kann man einfach nur noch von einem Angriff auf unsere Leben, von einer feindlichen Übernahme sprechen. 

Der Schlagermove kehrt zurück!

Dieses elende und grauenvolle Event dreht sich wie der Name schon befürchten lässt um den musikalischen Abgrund
Dabei sei gesagt, dass es durchaus auch in diesem Genre Lieder gibt, die eine gewisse Seele haben und gerade der Schlager der 20er bis 50er Jahre ist durchaus auch in unseren Ohren oft liebevoll komponiert und mit Können vorgetragen. Auch haben wir an sich nichts gegen die Protagonisten die vermutlich teilweise einfach Geld brauchten, denn ein studierter Opernsänger wie Tony Marshall hätte sicherlich auch an anderer Musik seine Freude gehabt, ähnlich wie Leslie Mandoki als Jazzdrummer sicher nicht seine Zukunft zwingend in einer Trashcombo wie Dschinghis Kahn gesehen hatte. 

Aber das was seit dem Schlagerrevivial der 90er mit diesem Genre speziell im Rahmen des unsäglichen Schlagermoves über uns hereinbricht, auf uns niederprasselt, unsere Ohren selbst bei geschlossenen Fenstern nicht verschont, das ist leider in großen Teilen unakzeptabel, bei aller Toleranz. 
Dazu kommt dass das begleitende Publikum dieses Moves die schlimmsten Seiten des Menschen präsentiert.

Vengeance is mine – I will repay

An zugesoffene, wild in der Gegend herumbrechende oder urinierende „Besucher“ ist man als St. Paulianer ja schon fast gewöhnt, auch wenn man sich immer wieder fragt, wie die Reaktion wohl bei einem Besuche unsererseits in z.B. Pinneberg ausfallen würde, wenn auch wir dort im Vorgarten mal unsere Pfütze hinterlassen, die Klingel abreißen oder in die Einfahrt brechen. 

Aber der Schlagermove verbindet diese Verhaltensweisen auch noch mit elendig penetranter, künstlicher guter Laune und karnevalsähnlicher Stimmung, vor der es kein Entkommen gibt, gepaart mit entsetzlichen Outfits und eben unüberhörbar aufgerissener Musik, für deren Lautstärke jeder Punk sofort zusammen geknüppelt und in die Zelle gesperrt werden würde

Hat Sankt Pauli das verdient?

Und Aal Fatal und Tiegervogel fragen von daher ernsthaft und ehrlich: Hat St. Pauli das verdient? Auf der einen Seite Vertreibung der Alteingesessenen durch Aufwertung und Schickimicki-sierung und auf der anderen Seite Folter durch Veranstaltungen wie dem Schlager Move?
Was ist los mit den Menschen? Vor ein paar Jahren wollte doch niemand hierher, da war es allen zu schlickig, zu gefährlich, zu Asi und jetzt ist es gleichzeitig das neue Hochglanzviertel aber auch der Partyschuppen der Stadt?
Tiegervogel und Aal Fatal sagen: Das ist große Kacke und die Kombination aus diesen beiden Hauptärgernissen erstickt die Seele des echten, des alten St. Pauli das von Charme und Flair nur so überquoll

Und so etwas ist unersetzlich, das kann man nicht kaufen und das kann man auch nicht als Event planen. 
Solange es noch einen Rest Hoffnung und alten Spirit gibt, ziehen die beiden aber weiter durch die Straßen mit der Kiez Geh Rock Revue und verkünden die frohe Botschaft der frühen Zeiten.
Gute Unterhaltung mit Niveau, viel Spaß und Lebensfreude wollen Tiegervogel und Aal Fatal den Menschen auf St. Pauli bringen. Und davon gibt es reichlich bei der Kiez Geh Rock Revue, dem musikalischen Stadtrundgang mit Musik in Hamburg St. Pauli.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen